Über Geschmack lässt sich streiten

Gestern fand auf dem Twitch-Kanal der ARD (ja, das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Deutschland ist auf Twitch unterwegs!) der zweite Teil eines kleinen Experiments statt. Denn wie wir alle wissen, der deutschen Bevölkerung ist nahezu nichts so heilig wie der Tatort. Angeleiert durch die Redaktion des Bayrischen Rundfunks (wenn ich es recht verstanden habe) wurde daher eine kleine Pen & Paper-Session in diesem Setting konzipiert, mit der wunderbaren Mháire Stritter von OrkenspalterTV als Spielleiterin und drei Spieler*innen, die mir aber allesamt unbekannt waren. Baso ist wohl selbst Streamerin/Influencerin, einer der Spieler ist seinerseits Tatortkommissar und hatte vorab noch nie mit tabletop Rollenspielen zu tun, und der dritte… keine Ahnung. Aber darum soll es mir auch nicht gehen.

Jedenfalls ist das, insbesondere für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, durchaus ein progressiver Versuch, eine eigene Hausmarke auch abseits der obligatorischen Verteilungswege zu positionieren, und somit neue Inhalte zu produzieren und anzubieten. Bei – da kann ich natürlich nur mutmaßen – vergleichsweise niedrigen Produktionskosten. Zwar wird die Konzeption eines solchen Rollenspielabenteuers, die Spielzeit und die Produktion im Hintergrund auch etwas Geld kosten. Aber vermutlich deutlich weniger als ein aufwändiger Filmdreh am Set.

Ich finde es jedenfalls bemerkenswert, dass bei solchen kreativen und innovativen Angeboten trotzdem Trolle in den Twitch-Chat wandern, die nichts besseres zu tun haben als sich über das Angebot lustig zu machen. Auf der einen Seite sind da ganz klassische Trolle, die zum Beispiel finden: „Die ARD ist auf Twitch? Cringe!“, oder die finden „Wenn ihr auf Twitch seid, warum nicht gleich auf OnlyFans?“. Was genau der Reiz dahinter ist, durch Kanäle zu gehen, solche Nachrichten zu setzen, die höchstens randständig zur Kenntnis genommen werden ehe der eigene Account gebannt wird, habe ich noch nie so ganz nachvollziehen können. Nichtsdestotrotz handelt es sich dabei immer noch um ganz gängiges Trollverhalten.

„Und dafür zahle ich Gebühren?!“ ist hingegen ein systemischer Vorwurf, der sich oft unter social media Beiträgen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks findet. Beispielsweise auch unter Angeboten auf Instagram, wo Formate versuchen, die Themen zu bespielen, die beispielsweise vor allem junge Menschen ansprechen sollen.

Daran finde ich eine ganze Reihe von Dingen bemerkenswert.

Erstens könnte man annehmen, die Personen erkennen den Mehrwert des dargebotenen Inhalts tatsächlich nicht an und kritisieren den Umgang mit den Gebührengeldern ehrlicherweise. In dem Fall müsste man konstatieren, dass diese Menschen davon ausgehen, jeder Inhalt, der ihren eigenen Interesse zuwiderläuft, sei nicht produktionswürdig. Eine durchaus verbreitete Haltung, möchte ich meinen. Aber nur, weil ich persönlich kein Frühstücksfernsehen, keinen Musikantenstadl und keinen Tatort schaue, heißt das noch lange nicht, dass diese Produktionen keine interessierten Zuschauer*innen haben. Es grenzt schon fast an Hybris, davon auszugehen, dass nur der eigene Interessenshorizont als „finanzierungswürdiger Inhalt“ zu gelten hat. Insbesondere, da wir alle zwangsläufig sehr viel eingeschränkter sind als die volle Breite unserer Gesellschaft.

Gerade auf Instagram sehe ich bei sehr vielen Angeboten vor allem Themen, die sehr junge Menschen ansprechen. Da geht es darum, wie man das eigene Leben in den Griff bekommt, wie man mit Gefühlen, Ängsten, dem Alleinsein oder mit anderen Menschen klar kommt. Es geht um Liebe, Freundschaft, Sex. Ja, manchmal sitze ich auch etwas ratlos da, kratze mich am Kopf und verstehe nicht ganz genau, warum der Inhalt publikationswürdig gewesen sein soll. Was wichtig ist zu verstehen: Nur, weil mir etwas sonnenklar ist, muss das nicht für jeden so gelten. Nur, weil mich etwas nicht interessiert, wendet sich jeder gelangweilt ab.

Zweitens: Selbst, wenn ein solches Angebot nur einen kleinen Personenkreis anspräche, so stünde die Frage im Raum, was daran verwerflich wäre. Denn es ist ja gerade Sinn und Zweck der speziellen Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Angebote zu schaffen, die einerseits frei sind und andererseits binnenpluralistisch eine möglichst große Bandbreite der Gesellschaft abdecken. Oder umgekehrt gefragt: Wie wahrscheinlich ist es, dass sich Rollenspieler im Privatfernsehen wiederfinden werden? Dort scheinen intellektuelle Topproduktionen wie Kaugummi-Weitspucken die Nase vorne zu haben.

Drittens gehe ich auch sehr stark davon aus, dass solche „Kritiker*innen“ wenig Einblick in die Umgebungsfaktoren haben. Wie groß ist der potentielle „Markt“ für ein solches Angebot? Wie groß ist die Rezeption? Das trifft ja nicht nur die Zuschauer*innen, die ein Angebot live verfolgen, sondern auch etwaige Aufrufe in einer Mediathek oder als VOD auf Twitch. Wie hoch sind die Produktionskosten? Vor allem im Vergleich zu einem Tatort-Dreh? Wenn die Argumentation also schon auf finanzielle Aspekte abzielt, muss man sich vermutlich eingestehen, dass man die notwendigen Kennzahlen zur Beurteilung der Qualität einer Produktion gar nicht kennt.

Viertens denke ich aber ohnehin, dass es solchen Kritiker*innen nie um die Zahlen und das Geld geht. Denn wie eingangs angedeutet handelt es sich dabei vor allem um eine systemische Kritik. Darin ist vielmehr ein Versuch zu lesen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu desavouieren und somit das Vertrauen oder die Akzeptanz der Medien in der Gesamtgesellschaft zu torpedieren. Zunächst weist man die Menschen darauf hin, wie verschwenderisch diese Institutionen doch ganz offensichtlich mit dem Geld umgehen, das alle Bürger*innen ZWANGSWEISE (die Betonung ist ganz wichtig) zahlen MÜSSEN. Und dann kommt SOWAS dabei heraus. Dicht gefolgt von dem Vorwurf, dass die MSM, also die „Mainstream-Medien“ ohnehin nur der Regierungslinie folgen würden bzw. nur ein ganz bestimmtes Weltbild propagieren würden. Das ist der direkte Weg in den Zweifel und das Misstrauen gegenüber der Medienwelt, die im schlimmsten Falle in den Schlund privater „Nachrichten“anbieter führt, also in die Welt der Verschwörungstheorien und politisch extremen Akteure. „Sowas kommt von sowas“ möchte man ausrufen, wenn dann plötzlich jemand ein Meinungsstück einer rechtsextremen Plattform als Beleg für eine absurde politische Theorie anführt.

Ich frage mich manchmal, ob und wie gut das funktioniert. Denn man liest diese Form der Verunglimpfung unter öffentlich-rechtlichen Inhalten zuhauf. Ich habe keinen Zweifel daran, dass es sich dabei um gezielte, konzertierte Aktionen handelt. Und ich frage mich, ob es angesichts der Menge und der steten Wiederholung dieser Vorwürfe von scheinbar immer neuen Accounts (wer weiß, wie viele „Menschen“ wirklich hinter diesen Accounts sitzen?) eine Auswirkung auf normale Leser*innen gibt? Schleichen sich solche Zweifel am System, an den Medien, an der bislang sehr erfolgreichen Strategie der Binnenpluralität in unserem Mediensystem ein? Locken solche Mechanismen Menschen in die Spirale der Verschwörungstheorien? Oder geht es vor allem darum, Kapazitäten des ÖRR zu binden, um solche Inhalte zu moderieren?

Final noch der Hinweis: Nein, es gibt bestimmt auch Menschen, die wirklich nicht verstehen, wie man diesen oder jenen Inhalt publizieren kann. Und Unverständnis, vielleicht auch Ungehaltenheit wegen besonders großem Unsinn ist keine Systemkritik, ist kein Unterminierungsversuch, nichts dergleichen. Nicht alles, was vier Beine hat, ist eine Katze. Und Kritik am öffentlich-rechtlichen System sowie den Inhalten ist natürlich auch wünschenswert – man denke nur an die diversen Skandale, die es in letzter Zeit so gab, etwa beim RBB. Kritik ließe sich auch an der politischen Überwachung des ÖR in Deutschland üben. Und Kritik lässt sich durchaus schon auch an der Verteilung der Gelder, den Produktionskosten und -inhalten üben. Wie so oft ist es manchmal das Argument und die Art, wie das diskursive Schwert geschwungen wird, die den Unterschied machen zwischen echter, ernstzunehmender Kritik und einem banalen Angriff auf eine demokratische Institution.

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