Fasnacht z’Basel: Impressionen eines Unwissenden

Die Fasnacht zu Basel ist eine Institution. Nicht nur, weil sie als größte Fasnacht der Schweiz eine ganze Woche nach den Faschings- und Karnevalsevents in Deutschland stattfindet, die Schweizer somit also noch bisserl länger was von der frohsinnigen Natur haben. 2017 wurde sie gar zum immateriellen UNESCO Weltkulturerbe erhoben. Und inzwischen verstehe ich sogar, warum.

Jetzt ließe sich hier eine ganze Menge an historischem Wissen unterbringen. Etwa, dass die Fasnacht schon ziemlich lang existiert und – kaum eine Überraschung – noch einmal ordentliche Draufgängerei bedeuten sollte, bevor die kirchlich auferlegte Fastenzeit zu greifen begann. Oder, dass die Fasnacht lange Zeit auch in der Schweiz FasTnacht, also mit t, geschrieben wurde. Eine Folge der Einführung der deutschen Standardsprache, derer man sich wenigstens in diesem Falle aber 1925 direkt wieder entledigte. Ein Hinweis, der dem scharfäugigen Betrachter selbst 2024 noch auf wenigstens einer der Laternen (siehe unten) thematisiert auffallen dürfte.

Daran anschließen ließe sich eine detaillierte Beschreibung der vielen Eigenarten der Basler Fasnacht, die zahlreichen Namen, Beteiligten, Handlungen, natürlich auch die Unterschiede zur artverwandten deutsch-rheinischen Besäufnisorgie. Allein, mich dünkt, Wissendere als ich Zugezogener finden sich zahlreich im Netz, denen man solch Wissen entlocken kann. Etwa direkt die Seite vom Fasnachts Comité!

Wecker stellen – Morgestraich!

Es mag darum hier genügen, ein paar meiner ganz persönlichen Impressionen aus der Fasnachtszeit 2024 schriftlich festzuhalten. Etwa den Morgestraich, mit dem die „drey scheenschte Dääg“, also die Hauptfasnachtszeit in Basel, offiziell beginnen.

Punkt 4 Uhr morgens in der Nacht von Sonntag auf Montag werden in der Basler Innenstadt sämtliche Lichter gelöscht. Gebäude, Laternen, Billetautomaten – selten ist der Stromverbrauch der Innenstadt geringer. Über die Innenstadt verteilt positionieren sich die Cliquen – also Gruppen bestehend aus lauter gewandeten Fasnachtler*innen in ihren schicken Kleidern und Larven (Masken), teils mit Piccoloflöte, teils mit Trommel bewaffnet, auf dem Kopf dazu noch oft mit bunter, leuchtender Helmtracht. Kaum, dass es los geht, stimmen die Fasnachtler den Morgestraich-Marsch an. Und das bunte Treiben beginnt.

Dieses Jahr war nicht mein erster Morgestraich. Ich glaube 2018 oder 2017 war ich das erste (und bis heuer einzige) Mal schon so früh auf den Beinen – mit allen Fehlern, die man dabei so machen kann. Spät am Abend noch mit jemandem getroffen, der extra aus der Ferne für die Fasnacht ankam, im Pub gewesen, und sich dann völlig übermüdet bis 9 Uhr morgens durch die Parade gequält. Das sollte 2024 anders werden – oder wäre es geworden, wenn es zu mehr als 2 mickrigen Stunden „Vorschlaf“ gereicht hätte. Man nimmt, was man kriegen kann.

Hinter oder mitten in den Cliquen ziehen und tragen starke Schultern oftmals noch die Laternen, also die thematischen Wägen der jeweiligen Fasnachtscliquen. In den meisten Fällen haben diese Wägen Aufbauten, die mit einem dünnen, durchscheinenden Papier bezogen sind, wie eine Laterne eben, so dass man – von innen heraus beleuchtet – im Dunkeln wunderbar die Bemalung und Beschriftung erkennen kann. Jede Laterne trägt dabei ihr ganz eigenes Sujet, also ein Thema, auf das die Clique besonders hinweisen möchte.

An meinem ersten Morgestraich war ich noch reichlich unbedarft. „Was soll das darstellen?“, wurde ich in spanisch gefärbtem Deutsch-Englisch gefragt, wozu ich auch nur ratlos die Schultern zucken konnte, war mir das doch selbst nicht klar. Jetzt, nach über 8 Jahren in der Schweiz, sieht das anders aus. Wobei, das Thema Künstliche Intelligenz, das die Fasnachtler dieses Jahr ganz besonders bewegt zu haben scheint, hätte ich vermutlich auch so erkannt. Aber daneben ging es eben auch sehr um die Begrünungsversuche der Stadt, um die Rettung eines sinkenden Schiffes namens Credit Suisse, die Bekämpfung der Tigermücke, den Barbie-Film, das Kinosterben zu (Gross)Basel, das Gendern, hatte ich die KI erwähnt?, den neuen Bundesrat Beat Jans (ein Basler!), viel Religionskritik, die wenig Raum für Interpretation lässt (langsam kommt mir auch, warum ein B…äh…DJ hier trotz allem angemessen war…), und natürlich KI.

Zwar ist die ganze Umzugerei auch ohne die Sujetwägen schon ein Event für sich: Es macht einfach Spaß, den verschiedenen Cliquen dabei zuzusehen, wie sie an einem vorbei durch die Straßen der Stadt ziehen, teilweise aufeinander stoßen, und sich spontan für neue „Fahrtwege“ entscheiden müssen. Geregelte Unregelmäßigkeit. Aber wenn man dazu noch erkennt, worum es auf den einzelnen Laternen geht, dann zieht gewissermaßen das ganze vergangene Jahr an einem vorbei, aber auf bissig parodierte Art und Weise. Wobei, so konstatiert wenigstens die NZZ (aber was mag das schon heißen), das Fasnachts Comité für die Einhaltung gewisser Rahmenbedingungen gesorgt hat. Oder, wie man im neurechten Sprech zu sagen pflegt: Auch an der Fasnacht geht die Wokeness nicht vorbei. Ich würde anmerken wollen: Wokeness um 4 Uhr morgens ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Leistung.

Blasmusik fast wie in Bayern – die Guggenmusik

Die Fasnacht hat natürlich noch mehr zu bieten als nur den nächtlichen Einstieg. Wobei ich gestehen muss – von der Cortège am Montag, also dem traditionellen Umzug, hab ich gar nichts mitbekommen. Ich lag schnarchend in meinem Bett. Wirklich, irgendwann bekomm ich das mit dem Vorschlafen hin!

Und auch von der Kinderfasnacht am Dienstag hab ich wenig mitbekommen. Genauer gesagt gar nichts, außer den Räppli unter meinen Schuhen, als ich mich später in die Innenstadt begeben habe. Man sehe es mir nach. Der einzige Kindskopf in meinem Leben bin derzeit ich selbst. Da geht es sich nicht immer aus, den auch noch an die Fasnacht zu treiben.

Reichlich froh bin ich aber, dass ich stattdessen von einem waschechten Basler zum Sternmarsch „genötigt“ wurde (viel Nötigung war da allerdings nicht nötig), bei dem die Guggenmusiken quer durch die Stadt zu ihren drei großen Auftrittsorten pilgern, dem Marktplatz mit dem roten Rathaus, dem Claraplatz, sowie der Mittleren Brücke. Guggenmusik, das beinhaltet dann endlich nicht mehr nur Piccoloflöten (auch wenn die Basler Fasnachtler dieses musikalische Folterinstrument so meisterhaft beherrschen, dass sich die zärtlich piepsenden Töne aus den Hälsen zahlloser Einzelinstrumente schließlich wirklich zu einer wohlklingenden Melodie verweben): Jetzt gibt’s da auch Trommeln und Pauken und Trompeten und Tuben! Guggenmusik, das heißt Blaskapelle und Marschmusik, und sehr viel bayrischer könnte ich mich in der Schweiz eigentlich kaum noch fühlen!

Ein bisschen schwer fiel es mir schon, das Gleichgewicht zu halten bei den fetzigen Schlagern, die schlussendlich auf der Bühne am Marktplatz zum Besten gegeben wurden. Vielleicht, weil einige echte Knaller waren und ich – fast untypisch für mich – wirklich die Lust zum Mitwippen und -schunkeln verspürte. Gelegentlich aber auch, weil ich von traversierenden Menschenmassen, die grundsätzlich immer direkt an uns vorbei zu strömen versuchten, fast niedergerungen wurde. Ich weiß nicht, ob es mich nächstes Jahr noch einmal an die Fasnacht verschlägt (ich hoffe es sehr), aber dann nur noch in Row Zero!

Übrigens wurde mir auch hier etwas Fasnachtsbildung zuteil – die wichtigsten Kostümvarianten in der Fasnacht sollte man offenbar kennen. Darum hier in alphabetischer Reihenfolge und zum Auswendiglernen: Altfrank, Alti Dante, Blätzlibajass, Domino, Dummpeter, Harlekin, Pierrot, Ueli und Waggis. Ein Zungenbrecher ist nichts dagegen!

Ich steh mit meiner Laterne, doch meine Laterne, die steht noch hier

Nun vermag natürlich nicht jeder am Montag Morgen um 4 Uhr beim Morgestraich die Laternen zu bestaunen. Und selbst wenn man es so früh aus dem Bett schafft (oder gar nicht erst ins Bett), dann ist es schwer, in dem Gemenge die Sujets zu enträtseln und vor allem auch noch all die kleinen Sprüche und Reime zu entziffern, die teils winzig in die Bildsprache eingeflochten sind. Noch dazu, weil sich die Laternen ja ständig bewegen.

Umso schöner, dass es daher eine Art Ausstellung am Münsterplatz droben gibt. Auf großer Stellfläche stehen sie dort in Reih und Glied, um von der ansässigen Bevölkerung nebst Gästen ausgiebig bestaunt zu werden. Ich war baff erstaunt, nicht nur, wie viele Laternen ich beim Morgestraich doch gar nicht erst vorbeiziehen hab sehen. Sondern auch, wie viele Details mir entgangen waren. Es hilft übrigens sehr, einen Kenner der lokalen Besonderheiten oder wenigstens der Schweizer Nachrichten an der Hand zu haben – nicht jedes Sujet entschlüsselt sich direkt von selbst.

Trotzdem kann man die kreative Handwerkskunst der Laternenmacherei wirklich nur bestaunen und bewundern. Zu finden ist dort nahezu alles, unterschiedlichste Kunststile, Drucke, Malereien, von Jung und Alt, mal künstlerisch verspielt, mal comicartig, dann wieder dunkel und schwer. Schwere, dystopische Kritik steht dort Seit an Seit mit einem augenzwinkernden Gruß in Richtung gesellschaftlichen Wandels. Und der Bischofshut hängt schlangengleich am Eingang zum Münster. Ein schönes Bild.

Von oben nach unten – vom Treiben in den Keller

Aber auch jetzt, spät am Abend des zweiten Fasnachtstages, sind die Basler Straßen voll mit Cliquen, die Piccolo-flötend und Trommel-schlagend jeden mit musikalischer Verve daran erinnern, dass gerade Fasnacht ist. Ich hab mir sagen lassen, dass die meisten Cliquen jetzt dann Charivari tragen. Was ich immer für einen Radiosender gehalten habe. Tatsächlich heißt das aber wohl, dass die Umzügler jetzt nicht die uniforme Cliquentracht tragen, sondern ganz individuell ihre eigenen Kostüme. Sogar ein blauer Anubis ist mir begegnet, fröhlich trillernd!

Wie schon am Morgestraich gilt aber auch hier – als Passant ist den Cliquen in jedem Falle aus dem Weg zu springen! In ein klangliches Duell mit den Umzüglern möchte man sich aber ohnehin nicht begeben, da kann man nur den Kürzeren ziehen. Noch immer hallen mir die Flötentöne nach, und ich bin zwiegespalten – denn obgleich ich die Trommeln und die Flötentöne liebe, ihren Frohsinn und ihre beständige Erinnerung an das festliche Treiben, so haben es gerade akustisch sehr sensitive Menschen wie ich gar nicht so leicht, in dem persistenten Widerhall alle Sinne beisammen zu halten. Von Unterhaltungen ganz zu schweigen.

Nebst dem oberirdischen Treiben gibt’s dann auch noch die Cliquenkeller, in denen man sich einfinden kann, um dort ein Waggis zu genießen – nicht nur eine wichtige Kostümfigur, sondern auch ein Mischgetränk aus Weißwein und Tonic. Sehr süffig und dem Anlass zweifelsohne angemessen. Es gibt aber auch noch anderes. Dort, in den Kellern, gibt’s dann auch noch die Schnitzelbänke, bei denen mehr oder weniger begabte Satiriker Spottlieder auf allerlei Geschehen von sich geben. Offenbar bisweilen auch mit Buhrufen quittiert, falls denn nicht gut, wie mir gesagt wurde. Die armen. Angesichts des großen Andrangs scheint sich ein zeitiges Reservieren jedoch zu lohnen, oder aber die Kenntnis von jemandem, der jemanden kennt, der… naja. Wir Münchner kennen das. Kleiner Tipp an alle Basler: Reservierungen für die Wiesnzelte sind teilweise noch sehr, sehr viel früher weg.

Aber auch wenn man keinen Platz im Cliquenkeller bekommt, ist die Stimmung in der Stadt einfach anders wild. Und manche Straße wirkt plötzlich wie eine gigantische Partymeile, wo Alt und Jung gleichermaßen zusammenkommen und die schönste Zeit des Jahres feiern. Ich geb zu, ich hab aus München heraus nie wirklich Fasching oder Karneval etwas abgewinnen können, auch, weil wir einfach keine große Faschingstradition in München haben. Und vom Kölner Karneval, ja da hört man so einiges! Aber die Basler Variante, das ist schon eine wirklich faszinierende Mischung aus Tradition, Regelbruch und sanfter Spaßmacherei, die sich trotzdem nicht wie die kollektive Enthemmnis weiter nördlich am Rhein anfühlt. Und darum irgendwie zumindest für mich auch deutlich sympathischer. Ich hab die Fasnacht dieses Jahr jedenfalls wieder ein großes Stück besser kennen gelernt. Und ich bin sehr glücklich damit.

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