Book Review: Alexis Hall – Boyfriend Material

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Wieder eine Party, auf die er keine wirkliche Lust hat, wieder ein süßer Typ, der ihn anflirtet – doch obwohl er sich nichts mehr wünscht, kann sich Luc nicht darauf einlassen. Noch einer, der sich nur auf ihn einlässt, um kurze Zeit später sein Privatleben für gutes Geld an die Regenbogenpresse zu verkaufen? Das Interesse der Klatschblätter am niederlagenreichen Liebes- und Sexleben des Rockstar-Sprößlings ist jedenfalls ungebrochen.

Als er aufgrund seines unsteten Lebenswandels auch noch droht, seinen Job zu verlieren, bleibt Luc O’Donnell nur ein einziger Ausweg: er muss so schnell wie möglich einen respektablen Freund an Land ziehen und die Öffentlichkeit von seiner persönlichen Besserung überzeugen. Seine beste Freundin Bridget kennt dafür genau den richtigen: Oliver Blackwood. Anwalt, gutaussehend, eloquent, gebildet, schwul und aktuell Single. Und selbst gerade auf der Suche nach einer Begleitung zur Rubinhochzeit seiner Eltern. Obwohl die beiden verschiedener kaum sein könnten und sich auch nicht wirklich mögen, vereinbaren sie eine temporäre „fake“ Beziehung. Und lernen sich dabei besser kennen, als sie vermutlich gedacht hätten.

Achtung: Das folgende Beitrag enthält Spoiler! Wer das Buch also noch lesen möchte, sollte jetzt dringend einen anderen Beitrag suchen, oder besser noch das Buch kaufen und selbst lesen! Was ich sehr empfehlen kann!

Worum geht es?

Boyfriend Material folgt einem ganz klassischen romantischen Thema: zwei Jungs, beide auf ihre eigene Weise nicht ganz erfolgreich im großen Spiel der Liebe und der Beziehungen, treffen aufeinander und könnten verschiedener gar nicht sein, müssen sich aber trotzdem miteinander befassen – und stellen am Ende fest, dass sie perfekt zusammen passen.

Auf der einen Seite ist das Luc O’Donnell. Der Öffentlichkeit ist er vor allem als Sohn eines Rockstars bekannt, den er selbst aber gar nicht wirklich kennt. Sein Vater hat ihn und die Mutter schon in jungen Jahren verlassen, um seiner eigenen Karriere nachzueifern. Doch das bisweilen skandalöse, umtriebige Leben des Vaters lässt den jungen Mann nicht unberührt, denn die Regenbogenpresse interessiert sich intensiv für ihn. Insbesondere leider für seinen Lebenswandel – Parties, Exzesse, gescheiterte Liebeleien, Trunkenheit. Für Luc bricht fast eine Welt zusammen, als sein Ex-Freund Miles ihn nach einer längeren Beziehung verlässt – nicht jedoch, ohne vorher noch alle Details aus dem Liebesleben und dem Familienleben der O’Donnells teuer an die Presse zu verkaufen. Lucs Vertrauen in die Menschheit, vor allem in die Männer, ist erschüttert.

Auch beruflich läuft es nicht gut für ihn. Er arbeitet in einer wissenschaftlichen Wohltätigkeitsorganisation, die sich für den Erhalt von Mistkäfern einsetzt – kein sehr prestigeträchtiges Berufsumfeld. Seine Aufgabe: die Spender*innen umgarnen, von denen die meisten gut betucht, in die Jahre gekommen, weiß und stark homophob sind.

Ganz anders hingegen Oliver Blackwood, ein adretter junger Mann mit stabilem Berufsstand – er arbeitet als Anwalt und vertritt Angeklagte vor Gericht, wenngleich er selbst nicht müde wird zu betonen, dass die Gesellschaft in ihm zumeist nur denjenigen sieht, der Mörder wieder auf freien Fuß bringt. Er ist durchtrainiert, ernährt sich gesund, ist eloquent und gebildet, beherrscht, behält selbst in schwierigen Situationen den Kopf und beherrscht die Kunst des Smalltalks meisterlich. Kurzum: Oliver ist das absolute Gegenteil von Luc.

Eine ungleiche „Fake“ Beziehung

Es ist nun reichlich schwer zu erklären, warum zwei so unterschiedliche Charaktere gezwungen sein sollten, sich miteinander zu befassen. Alexis Hall wählt hier den Weg des äußeren Zwangs: als immer mehr Sponsor*innen sich verweigern, Geld in Mistkäfer zu investieren, als sie von Lucs „Lebenswandel“ lesen, setzt ihm die Chefin ein Messer auf die Brust: entweder, er findet einen respektablen, vorzeigbaren Freund, oder er ist auch diesen Job los.

Oliver wäre sicherlich nicht Lucs erste Wahl, vor allem weil die beiden sich nicht ausstehen können. Zumindest ist das Lucs Ansicht, aus dessen Perspektive das ganze Buch geschrieben ist. Zweimal hatte er schon versucht, bei dem Anwalt zu landen, und beide Male ohne Erfolg. Bummer. Doch Bridget, Lucs beste Freundin, bringt die beiden doch wieder miteinander ins Gespräch – auch, weil Luc gar keine andere Chance hat. Die beiden treffen sich und treffen eine Vereinbarung: Oliver spielt Lucs festen Freund, um ihn so medial in ein besseres Licht zu stellen. Umgekehrt begleitet Luc Oliver an die Rubinhochzeit seiner Eltern, zu der dieser ungern allein erscheinen würde. Danach trennen sich die Wege der beiden wieder.

Ein großer Teil des Buches befasst sich nun zwangsläufig damit, wie die beiden Jungs sich langsam, aber stetig kennen lernen. Auf der einen Seite Luc, der absolut unfähig scheint, sein Leben und vor allem seine Wohnung auch nur halbwegs sauber zu halten. Und daneben Oliver, der in einem kleinen Häuschen etwas außerhalb wohnt und drei verschiedene Spülschwämme für unterschiedliche Teilbereiche des Haushalts hat. Luc, den jedes emotionale Problem sofort in Fluchtreflex versetzt, und Oliver, der selbst in einer maximal unangenehmen sozialen Situation einen kühlen Kopf bewahrt.

Natürlich ist Luc nicht der einzige, der einen gewissen Ballast mit sich schleppt. Oliver, gutaussehend wie er ist, bringt zwar deutlich mehr Beziehungen zustande als Luc. Aber keine einzige davon hält. Viel schlimmer noch aber ist seine familiäre Situation. Der Bruder, Christopher, lebt mit seiner Frau im Ausland, wo er als Arzt wichtige Hilfe für Bedürftige leistet. Und seine beiden Eltern werden nicht müde, ihm gegenüber zu betonen, wie beeindruckt sie von den Leistungen des Bruders sind, um unterschwellig zugleich ihre Enttäuschung über Oliver auszudrücken. Begleitet von zahllosen homophoben Äußerungen, die sie natürlich nicht als homophob verstanden wissen wollen. Und Oliver? Leidet darunter, ohne es zu merken, verbiegt sich, versteckt sich.

Darin liegt schlussendlich auch der Grund, weshalb Luc und Oliver sehr viel besser funktionieren als es auf den ersten Blick möglich sein sollte. Denn die beiden ergänzen sich in fundamental wichtigen Bereichen. Oliver gibt Luc Stabilität, Halt, Ordnung. Er verurteilt Luc nicht, der einen Nervenzusammenbruch nach dem anderen erleidet, der sich „fake trennt“ von diesem fürsorglichen „fake boyfriend“, nur um dann doch wieder nachts vor seiner Tür zu stehen und ihn zurück zu betteln. Umgekehrt liefert Luc das gerüttelt Maß an Impulsivität, Emotionalität, aber vor allem auch Selbstwertgefühl, das Oliver fehlt. Und je näher das Ende des gemeinsamen Arrangements rückt, desto klarer wird ihnen beiden, dass sie gar nicht so weit von einer „echten“ Beziehung entfernt sind. Wenn sie sich nur füreinander entscheiden würden. Und könnten.

Perspektive: Luc

Wie oben bereits erwähnt ist das Buch aus der Sicht von Luc O’Donnell geschrieben. Und ich muss gestehen, ich hatte damit anfangs größere Schwierigkeiten. Ich bin kein großer Fan von Erzählungen in Ich-Perspektive, ich bevorzuge den allwissenden Erzähler, der mir Einblicke aus einer beobachtenden Perspektive schildert. Insofern war Boyfriend Material erst einmal eine literarische Herausforderung für mich.

Dazu kommt, dass die Verschiedenartigkeit der beiden Charaktere allzu deutlich auch über den Sprachduktus der beiden Personen gestaltet wird. Auf der einen Seite Luc, dessen sprachliches Repertoire eine beeindruckende Zahl an schlechten Witzen und Flüchen aufweist. Und daneben Oliver, bei dem selbst ich gelegentlich ein Fremdwörterbuch heranziehen hätte müssen, wenn die Bedeutung der Worte nicht kontextuell erschließbar gewesen wäre. Daraus ergeben sich teilweise Dialoge, die sich nicht sehr authentisch, nicht sehr real anfühlen. Man merkt das sehr gut, wenn man die Texte versucht laut zu lesen. Die ersten Kapitel habe ich noch versucht laut einzusprechen – aber nach einigen Kapiteln musste ich aufgeben. Vor allem auch die gesprochene Sprache ist sehr schriftlich formuliert.

Die Wahl der Perspektive hat natürlich auch zur Folge, dass das Buch stark „Luc-lastig“ ist. Wir erfahren sehr viel über die Hintergründe von Luc, über seine Gefühlswelt, seine familiären Schwierigkeiten. Auch über seine Freunde, eine Gruppe aus LGBTQIA Menschen, die immer mal wieder in die Geschichte eingestreut werden und als eine Art emotionaler (und manchmal tätlicher) Rettungsanker fungieren. Wobei ich den Witz, der hier mit den Charakteren eingefügt werden sollte, bisweilen etwas anstrengend finde. Etwa Bridget, die bei jeder Erwähnung zunächst betont, dass sie gleich gefeuert werden wird, weil schon wieder irgendwas Schlimmes in ihrem Job passiert ist. Oder das verheiratete Paar James und James Royce-Royce, wo ich persönlich weder die Namensgleichheit noch die sprachliche Anlehnung an die Automarke wahnsinnig witzig finde. Fast noch am erfrischendsten ist da Priya, wie in einer lesbischen Beziehung lebt und sich ansonsten aber sehr wenig für irgendetwas interessiert, was andere um sie herum als fundamental erachten.

Von Oliver und seinem persönlichen Umfeld erfahren wir hingegen sehr wenig. Ein paar familiäre Bezüge, ja. Aber sonst bleibt der Mann größtenteils im Dunkeln. Womit wir als Lesende natürlich soweit sind wie Luc auch.

Mehr Gefühl als Inhalt

Inhaltlich gesehen gewinnt Boyfriend Material sicherlich keinen Nobelpreis. Die Geschichte ist so vorhersehbar, wie sie konstruiert ist. Aber ich lese eine Gay Romance Novel auch nicht, weil ich mir darin gesellschaftskritische Meisterwerke erwarte. Die sozio-politische Botschaft in einer LGBTQIA Romanze ist von Anfang an klar, der Rest ist eine Komödie mit sehr klassischen Rollenverteilungen und Topoi.

Das macht aber auch den Reiz der Geschichte aus und erklärt, warum ich das Buch trotzdem sehr zügig fertig lesen konnte und wollte. Boyfriend Material ist für mich eher „feel good“ Literatur. Denn obwohl Luc und Oliver sehr verschieden voneinander sind, obwohl die beiden auch immer wieder Konflikte miteinander austragen müssen, so weiß man als Lesende*r von Anfang an, dass die beiden perfekt zusammen passen. Dass sie nach einem Konflikt wieder zusammen finden werden.

Identifikationsfiguren

Ich war an manchen Stellen auch etwas schockiert, wie oft ich mich in dem ein oder anderen Charakter selbst erkennen durfte. Gerade wenn man sehr kritisch mit dem eigenen Leben ins Gericht geht, fühlt man sich Luc plötzlich sehr verbunden, bei dem wirklich gar nichts zu funktionieren scheint. Es gibt eine ganze Reihe von Dingen an Luc oder die Luc zugestoßen sind, da fühle ich direkt mit. Dann ist da Oliver, dieses Musterexemplar eines Mannes, der natürlich bewusst so gestaltet ist – aber ja, ich kann wahnsinnig gut verstehen, warum Luc diesen Mann reizvoll findet. Und gleichzeitig hat selbst Oliver die ein oder andere Kleinigkeit, in der ich mich wiederfinde. Was wiederum eines der wichtigsten Elemente in LGBTQIA Romanen sein dürfte, dienen sie doch zuvorderst einem Ausgleich in der Repräsentation von Minderheiten in literarischen Werken. Sich darin wiederzufinden bedeutet sich repräsentiert zu fühlen. Und einen Anlass zu finden, über sich selbst in einer neuen Perspektive zu reflektieren.

Insgesamt gesehen empfand ich Boyfriend Material als sehr solides Buch, angenehm geschrieben, mit einer angenehmen Länge. An manchen Stellen ist mir die Geschichte vielleicht ein bisschen zu konstruiert, und die Dialoge der beiden Protagonisten wirkt bisweilen eher wie eine Charakterbeschreibung und weniger wie eine authentische Unterhaltung. Das tut dem Lesespaß aber final keinen Abbruch. Daraus ergibt sich dann auch meine finale Wertung mit vier von fünf möglichen Sternchen: ⭐⭐⭐⭐▪


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