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Eigentlich läuft alles bestens für Alex Claremont-Diaz – der attraktive junge Latin American kommt bei den Frauen gut an, er versteht sich wunderbar mit seiner Schwester June und ihrer gemeinsamen Freundin Nora. Oh, und außerdem ist er auch noch der FSOTUS, der First Son of the United States, Sohn der Präsidentin Ellen Claremont.
Nur auf seine alte Nemesis, Prinz Henry Fox-Mountchristen-Windsor, Zögling des königlichen Hauses in Großbritannien, auf eben den hätte er gut verzichten können. Ein unausstehlicher, hochnäsiger Typ, der sich durchgehend als feinster Saubermann gibt. Wenig ahnt er bei ihrem ersten Wiedersehen nach langer Zeit, dass dies der Beginn einer aufregenden emotionalen Reise sein würde…
Achtung – dieser Beitrag enthält Spoiler zu Casey McQuiston – „Red, White & Royal Blue„. Wer das Buch noch nicht gelesen oder den Film noch nicht gesehen hat, sollte sich vorab überlegen, hier weiter zu lesen.
„Red, White & Royal Blue“ war für mich ein klassischer Buchladenfund. Im Oktober letzten Jahres stand ich in London in einem Waterstones (eine größere Buchladenkette im Vereinigten Königreich) auf der Suche nach neuem Material. Ich liebe den Laden, insbesondere die umfangreiche LGBT-Ecke. 2016 habe ich dort zum Beispiel das wunderbare Buch „Straight Jacket – How to be Gay and Happy“ von Matthew Todds gefunden – ein Werk, dass ich auch heute nur wärmstens empfehlen kann, schon allein, weil Matthew ein wirklich toller Typ ist. Zumindest, solange ich ihn auf Twitter (damals noch Twitter) verfolgen konnte.
Normalerweise kaufe ich Bücher aber anders, weiß sehr genau was ich will, gehe in den Laden und suche ganz gezielt dieses eine bestimmte Werk. Umso schwieriger für mich, wenn ich plötzlich vor einem riesigen Bücherregal stehe und nach einem passenden Buch für mich suche. Vielleicht hat mich der pinke Buchrücken verlockt. Oder die Tatsache, dass ich den Titel des Buches schon anderweitig gehört hatte. Ich bin mir gar nicht mehr sicher, wo. Entweder hatte mir jemand in den Social Media den dazugehörigen Film mal empfohlen, oder ich hatte eine Preview auf Netflix gesehen. Jedenfalls hat mich der Titel interessiert. Der Klappentext spricht von zwei Männern, die verbotene Gefühle zueinander entwickeln, politischen Verwicklungen, einem Skandal… kurzum, Dinge, die ich gerne mag. Gefunden, gekauft, und das Buch wanderte im Koffer mit mir über den Ärmelkanal zurück in die Schweiz.
Worum geht es?
Worum geht es also in „Red, White & Royal Blue„? Die Geschichte, veröffentlicht 2019, spielt in einer leicht alternativen Realität, in der sich die politischen Begebenheiten im angelsächsischen Raum nicht ganz so schrecklich entwickelt haben wie in echt. 2016 gewinnt nicht ein erwiesener Antidemokrat, sondern die Kandidatin der Demokraten die Wahl und zieht als Präsidentin ins Weiße Haus ein. Und im Vereinigten Königreich sitzt zwar auch im Buch eine alternde Königin auf dem Thron. Hier trägt jedoch nicht der Sohn, sondern die Tochter nach dem Todesfall ihres Mannes die Last, ihre zwei Söhne zu wohlerzogenen und fähigen Männern, und eben potentiellen Thronfolgern, heranzuziehen.
In diesem politischen Rahmen treffen Alex, der Sohn der US-Präsidentin, und Prinz Henry (hach!) aufeinander. Die beiden kennen sich aus der Vergangenheit, als sie sich bei olympischen Spielen getroffen haben – bei denen Harry seinen persönlichen Assistenten wenig charmant darum bat, den amerikanischen Jungen aus seinem Blickfeld zu entfernen. Dieses Treffen muss auf beide sehr nachhaltigen Eindruck gehabt haben. Alex jedenfalls kann den britischen Monarchensprößling seither nicht ausstehen, betitelt ihn gar als eine Art Erznemesis. Und Prinz Henry? Der bekommt Alex seither auch nicht mehr aus dem Kopf. Allerdings aus leicht anderen Gründen.
Jahre später also treffen die beiden wieder aufeinander. Ein geselliger politischer Hochzeitsanlass im Buckingham Palace, eine royale Hochzeit. Man geht sich aus dem Weg, soweit man kann – aber nach einer kurzen Auseinandersetzung und Rangelei landen die beiden plötzlich gemeinsam in der Hochzeitstorte. Der diplomatische Eklat ist perfekt – die zwei „Thronerben“ gewissermaßen im Konkurrenzkampf? Das sind politische Schlagzeilen, die man weder im White House noch im Buckingham Palace gerne liest. Es muss etwas unternommen werden, um die diplomatischen Wogen zu glätten.
Der First Son of the United States (FSOTUS) und der Prinz bekommen also ein Freundschaftsevent auferlegt, um der ganzen Welt geskriptet zu vermitteln, wie enge Freunde sie doch sind. Der Eklat war selbstverständlich nur ein blöder Unfall. Aber wie das so ist, wenn man miteinander spricht – man merkt, dass der andere gar nicht so bescheuert ist wie gedacht. Man unterhält sich. Und tauscht Telefonnummern aus.
Die beiden sprechen also auch weiter miteinander, nachdem ihr gemeinsamer PR-Stunt erfolgreich über die Bühne gegangen ist. Und können miteinander über Dinge sprechen, die sie mit anderen nicht so einfach bereden können. Aus einer langjährigen Rivalität entwickelt sich eine distanzierte Freundschaft. Schwierig wird es jedoch, als Henry zu einem politischen Anlass in den USA zu Besuch ist. Als der junge Prinz sich nicht mehr anders zu helfen weiß, da sein amerikanischer Konterpart keinen einzigen der zahlreichen Pennies fallen hören will, drückt er dem FSOTUS in einem ruhigen, unbeobachteten Moment einen Kuss auf die Lippen – und verschwindet. Für Alex beginnt eine wilde, überstürzte emotionale Reise, an deren Ende er sich eingestehen muss, dass er vielleicht doch nicht so straight ist, wie er das immer dachte.
Überspringen wir die Phase des anstrengten Schweigens zwischen den beiden. Den geschickten Versuch von Alex, sein love interest in die USA zu locken. Die erste gemeinsame Nacht der beiden. Viel Passion, viel Erotik, was zu einem solchen Buch eben auch dazu gehört.
Jedenfalls ist klar, dass die heimliche und in erster Linie körperliche Beziehung zwischen den beiden, die sich als offiziell „beste Freunde“ (offensichtlich mit Benefits) bei erstaunlich vielen Veranstaltungen weltweit treffen, das Zeug dazu hat, politischen Flurschaden anzurichten. Und als plötzlich der Emailverkehr zwischen den beiden Jungs geleakt wird, ist der Skandal perfekt. Die Königin trifft fast der Schlag – ein homosexueller Mann, in ihrer Familie? Good Lord! Und auch für die Präsidentin kommt der Skandal mitten im Wahlkampf und somit im denkbar schlechtesten Augenblick. Sie ist aufgebracht, konfrontiert ihren Sohn – aber am Ende läuft es für sie auf eine einzige, wichtige Frage hinaus: „Denkst du, dass das etwas Ernstes, etwas Bleibendes ist?“ (sinngemäßes Zitat) Mom first, President second.
Ob sich der Skandal noch abwenden lässt. Ob Ellen Clermont ihre zweite Amtszeit gewinnen kann. Ob Prinz Harry… äh… Henry enterbt wird – oder ob den beiden jungen Männern eine glückliche Zukunft beschieden ist, das müsst ihr aber schon selbst lesen. Alles kann ich auch nicht vorwegnehmen.
Meine Meinung
Ich muss gestehen, ich bin kein großer Romantiker. Literarisch gesehen zumindest, im privaten Leben ist Romantik der (oder eher: ein) Schlüssel zu meinem Herzen. Warum soll ich mir schon groß Geschichten durchlesen von Menschen, die – wenngleich fiktional vorherbestimmt dazu – denkwürdige Liebesgeschichten durchleben an deren Ende mit großer Wahrscheinlichkeit ein Happy End auf sie wartet? Ich hätte das Happy End lieber gerne im echten Leben. Und wenn es dort nicht klappt, möchte ich ungern lesen (oder filmisch sehen), wie es anderen gelingt. Umso schwieriger auch noch, wenn es um zwei schwule Männer geht. Dann funktioniert meine persönliche Ausrede nämlich nicht mehr.
Insofern stand das Buch, nachdem ich es in der Schweiz ausgepackt hatte, erst einmal für sehr lange Zeit ungelesen in meinem Regal. Und starrte mich von dort aus an. Jeden Tag. Jede Nacht. Irgendwann blieb mir nichts anderes mehr übrig, als mich diesem Buch endlich zu widmen.
Was soll ich sagen – ich habe insgesamt weniger als 24 Stunden gebraucht, um das ganze Werk zu verschlingen. Das geht soweit, dass ich morgens um 5 Uhr (!) aufgestanden bin (zum Vergleich, ich stehe sonst nie früher als 8 Uhr auf, ich bin eine echte Nachteule), um die Geschichte weiter zu lesen. Nur. Noch. Eine. Seite! Und hin und wieder blieb mir nichts anderes übrig, als das Buch für einen Moment beiseite zu legen. Weil ich aufgrund der Tränen in meinen Augen nichts mehr erkennen konnte. Memo: Weinen, während man im Bett auf dem Rücken liegt, ist unpraktisch. Und brennt.
Vermutlich hat das damit zu tun, dass mich die Geschichte zwischen den beiden Jungs unvermittelt doch tiefer getroffen hat, als ich es mir eingestehen wollte. An vielen Stellen habe ich mich entweder in Alex oder auch in Henry deutlich wiedererkannt. Denn eben weil ich ein ziemlicher Romantiker bin, gab es so manche Stelle in dem Buch, die genau den Nerv dessen getroffen hat, was ich mir für mein eigenes Leben wünschen würde. Oder anders ausgedrückt: Ja, romantische Geschichten machen mit mir genau das Gleiche wie mit jedem anderen auch.
Das gilt insbesondere für die zahlreichen Emails zwischen Alex und Henry, die sich immer wieder eingestreut in den Text finden. Einerseits ein geschickter Schachzug, befriedigt das doch ungemein den voyeuristischen Drang des Lesenden, etwas mehr über die Beziehung der beiden zueinander zu erfahren. Insbesondere die Art, wie sie miteinander schreiben. Schreiben ist eine sehr intime Weise zu kommunizieren, wenn man sie beherrscht. Das geschriebene Wort ist verlässlich und belastbar. Und es ist die Kunst, auch im Geschriebenen den Ton so zu finden, dass der andere einen richtig versteht. Abgesehen davon aber ist es natürlich auch höchst unterhaltsam, wie die beiden sich gegenseitig necken und mit anzüglichen Bemerkungen anstacheln. Auch das etwas, das man sich doch wünscht – jemanden, mit dem man solchen Schriftverkehr austauschen kann, wobei beide wissen, wie es gemeint ist. Und wohin die Reise geht.
Im Gegensatz dazu ist das äußere Setting der Geschichte eher vernachlässigbar. Sicher, eine demokratische Präsidentin Claremont und insbesondere ihr Wahlkampf gegen ihren politischen Widersacher ist natürlich ein politisches Signal. Und ich bin erleichtert, dass Casey McQuiston diesen Weg gewählt hat. Ich denke, es wäre unnötig gewesen, die Geschichte zusätzlich durch illiberale Politik der Realität zu „bereichern“. Die eingestreuten Sequenzen aus der amerikanischen Politik verleihen der Geschichte einen „House of Cards“-Flair. Intrigen hier, Mauscheleien mit Abgeordneten dort. Dass am Ende geleakte Emails zum finalen Skandal hinleiten, ist nur eine weitere Entlehnung aus der Realität. Wir erinnern uns an das „But her Emails!“-Gate. Mit den Security Details kommt noch etwas Agentenflair auf – eine bunte Mischung an Stereotypen der amerikanischen Politik eben. Ob die Politik dort wirklich so abläuft?
Schön ist hingegen, wie flüssig die ganze Geschichte geschrieben ist. Ich neige dazu, Geschichten und Bücher laut zu lesen – das zwingt mich dazu, nicht nur den Inhalt eines Textes zu erfassen, sondern ihn direkt auch mit Emotion und Leben zu erfüllen. Kleiner Tipp: Wenn ihr Texte schreibt, lest sie euch selbst einmal laut vor. Man merkt sofort, an welchen Stellen der Lesefluss unterbrochen ist. Die Chance ist groß, dass an genau dieser Stelle ein Fehler im Text vorliegt. Was nicht heißen soll, dass ich diesen Beitrag hier noch einmal vorgelesen habe. Jedenfalls konnte ich die verschiedenen Charaktere und auch die Erzählung selbst wunderbar „nachvertonen“.
Das Einzige, was ich vielleicht bis heute noch etwas negativ in Erinnerung behalten habe, ist die „Vorgeschichte“ der zwei zueinander. Da Aufhänger ihrer Liebelei eine Rangelei ist, die wiederum auf einer Rivalität aufbaut, muss diese natürlich auch begründet sein. Warum allerdings Prinz Henry den amerikanischen Latinboy direkt aus dem Gesichtsfeld haben will. Und warum Alex sich Jahre später noch genau an diese Begebenheit erinnert und Henry deshalb mit Verachtung straft. Das wissen vermutlich nur die beiden selbst. Auf mich wirkt das leider sehr konstruiert. Ohnehin bin ich nicht sicher, ob diese Einstiegsrivalität nötig gewesen wäre. Es hätte aus meiner Sicht völlig ausgereicht, wenn sich Alex auf der Hochzeitsfeier direkt an der „überheblichen Art“ des britischen Monarchensöhnchens gestört hätte.
Trotzdem gehört „Red, White & Royal Blue“ heute zu den liebsten Büchern in meinem Regal. Nicht nur, weil es mir den Traum einer… „erreichbaren“ Variante von Prinz Harr… Henry erlaubt. So erreichbar fiktive Figuren eben sind (und mit denen habe ich eine lange Geschichte, aber dazu an anderer Stelle mehr). Nicht nur Alex und Henry habe ich bei der Lektüre sehr in mein Herz geschlossen. Sondern natürlich auch June und Nora, die beiden Mädels, die mit Alex zusammen im Weißen Haus aufwachsen.
Den Film habe ich übrigens leider noch nicht sehen können. Aber ich muss zugeben, ich bin auch nicht sicher, ob ich das möchte. Erstens, weil die Schauspieler nicht ganz das zu verkörpern scheinen, wie ich die Charaktere gelesen habe. Aber das ist normal bei Buchverfilmungen. Zweitens aber auch, weil für mich eine der großen Stärken des Buches die Innenperspektive ist, die wir von Alex erhalten, aus dessen Sicht die Geschichte geschrieben wurde. Und ich bezweifle, dass das filmisch auch nur ansatzweise so gut umsetzbar ist.
Ein letztes Wort noch – es ist für mich immer wieder erstaunlich, wie wichtig mir über die Jahre Repräsentation geworden ist. Diese Liebesgeschichte zwischen zwei Männern hat deutlich mehr in mir angerichtet, als die drölfzig Rosamunde Pilcher-Filme, die ich bisher so sehen durfte. Und das nicht nur, weil es zwei Männer sind. Sondern auch, weil Casey McQuinston es sehr gut geschafft hat, die emotionalen Schwierigkeiten und Unsicherheiten, die damit einhergehen, einzufangen. Representation matters. Und es bedarf sicherlich noch vieler mehr solcher Bücher. Ich bin gespannt, ob wir irgendwann in einem weiteren Band mehr zu Alex und Henry lesen dürfen.
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